20. Dezember 2023

Michael Meinert

Winter auf Kreta - das Meer, der Müll und deutsche Knödel

Kurz vor Weihnachten. Strahlend blauer Himmel, ein paar weiße Wölkchen am Horizont. Sonne ohne Ende, 20 Grad und mehr. Sechs Wochen sind wir jetzt schon hier in Mirtos, in unserem zweiten Winter. Zwölf Wochen bleiben noch - Zeit für eine Zwischenbilanz.
Am Morgen, als erstes, der Blick aufs Libysche Meer, das sich unter unserem Apartment erstreckt. Frühstück auf dem Balkon, in der Sonne, ein Urlaubstraum. Wir haben nicht lange gebraucht, uns hier wieder wohl und heimisch zu fühlen – und zu merken, dass es ja kein wirklicher Urlaub ist. Vieles ist großartig, klar, aber ich sehe doch manches etwas nüchterner als im vergangenen Winter. Realistischer vielleicht. Ein Kreter sagte mir mal: Weißt du, ich bin hier geboren, mein Leben lang sehe ich das Meer. Das ist nichts Besonderes. Mal richtig Schnee, in den Alpen, das fände ich spannend.
Dem nüchterneren Blick fällt so dies und jenes auf. Zum Beispiel der Müll, der öfters in der Landschaft rumfliegt. Ich habe das Gefühl, dass das Problem zunimmt. Oder der Dreck rund um die großen Tonnen, in die man seinen Abfall wirft. Störend ist dies besonders dort, wo sich die Abfallhaufen vor einer großartigen Landschaftsszenerie türmen. Es ist unästhetisch, unnötig. Und gefährlich: Irgendwann landet einiges davon im Meer. Auch die Fische leiden darunter. Die Behörden scheint es nicht zu interessieren. Andererseits: Die Innenstadt von Heraklion beispielsweise ist blitzsauber. Den ganzen Tag laufen Mitarbeiter (und wirklich auch Mitarbeiterinnen) herum und kehren, kleine Müllautos sind unterwegs und fahren das aufgesammelte Zeug ab. Da können sich deutsche Städte eine Scheibe abschneiden.
Ein auffälliger Unterschied zu Deutschland ist auch, wie der Straßenverkehr hier auf Kreta abläuft. Auf den ersten Blick chaotisch, oft erinnert es mich an das Treiben auf einem Autoscooter-Parcours auf dem Jahrmarkt. Aber: Alle, fast alle, sind rücksichtsvoll, rechnen mit diesem und jenem. Und wenn jemand einen Fehler macht, gibt es kein Gehupe und Geschimpfe. Man nimmt es gelassen hin – und gut ist’s. Es ist ebenfalls kein Problem, irgendwo zu parken, auch wenn es vielleicht mal nicht so ganz regelkonform ist. In der Regel kosten auch die offiziellen Parkplätze nichts oder ganz wenig. Das schätzt man, wenn man deutsche Städte kennt.
Leben und leben lassen – diese angenehme (und eigentlich selbstverständliche) Einstellung ist hier auf Kreta noch nicht in Vergessenheit geraten.
Da wundert es auch nicht, dass in der Gastronomie so manches anders ist. Kostenloses Wasser ist meist eine Selbstverständlichkeit, oft bekommt man eine kleine kostenlose Vorspeise, nachher ein bisschen Dessert und einen Raki. Gastfreundschaft wird großgeschrieben. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Natürlich ist das gastronomische Angebot jetzt im Winter begrenzt und etwas eintönig. Daher kochen wir oft in unserem Apartment, manchmal auch richtig deutsch. Gulasch (vom hiesigen Metzger) und Semmelknödel (von zuhause mitgebracht), das ist schon was. Und Rosenkohl gibt es auch manchmal. Es kann eben nicht immer Feta sein.
Wir leben hier unseren Alltag, kommen weg vom Touristendasein, aber wir machen uns keine Illusionen: Wir werden hier immer Gäste sein. Das sagen auch Freunde, die schon 20 oder 30 Jahre hier leben. Auch wenn sie natürlich gut Griechisch sprechen.
Da sind wir noch weit von entfernt. Klar, wir versuchen es zu lernen, das Leben wird einfacher dadurch, das Bemühen allein wird schon anerkannt. Ich finde, dass das Lernen der Sprache ein Ausdruck von Wertschätzung seinem Gastland gegenüber ist.
 Aber, ganz ehrlich, Griechisch ist verdammt schwer. Man kennt Worte wie Telegraph, Akkustik, Philosophie, die natürlich aus dem Griechischen kommen, aber im Alltag nutzt das eher wenig. Die Grammatik ist nicht die einfachste, und lange Wörter wie „chrisimopoio“ (benutzen) oder „savvatokyriako“ (Wochenende) machen es auch nicht leichter. Oder Hürden wie die fünf Möglichkeiten, den Vokal „i“ zu schreiben. Kein Wunder, dass Englisch, dessen Basisversion man schnell drin hat, die wichtigste Weltsprache ist. Aber Deutsch soll ja auch nicht so einfach sein.

Winter on Crete - the Sea, Garbage and German Dumplings

Just before Christmas. Bright blue sky, a few white clouds on the horizon. Endless sunshine, 20 degrees and more. We have been here in Mirtos for six weeks now, in our second winter. Twelve weeks to go - time to take stock. 

First thing in the morning, the view of the Libyan Sea, which stretches out beneath our apartment. Breakfast on the balcony, in the sun, a vacation dream. It didn't take us long to feel comfortable and at home here again - and to realize that it's not really a vacation. A lot of things are great, of course, but I see some things a little more soberly than last winter. More realistically perhaps. A Cretan once said to me: "You know, I was born here, I've seen the sea all my life. That's nothing special. I'd love to see real snow in the Alps. 

The more sober eye notices this and that. For example, the garbage you often find in the countryside. I have the feeling that the problem is increasing. Or the dirt around the large garbage cans where people throw their garbage in. This is particularly annoying where the piles of garbage are piled up in front of a magnificent landscape. It is unaesthetic,  unnecessary. And some day it ends up in the sea. The authorities don't seem to care. On the other hand, the city center of Heraklion, for example, is spotlessly clean. All day long, employees walk around sweeping, small garbage trucks are on the road and take away the collected garbage. German cities can take a leaf out of it.

Another striking difference to Germany is how the traffic here on Crete works. At first glance it seems chaotic, often reminding me of the hustle and bustle on a bumper car course at a fair. But: everyone, almost everyone, is considerate and takes this and that into account. And if someone makes a mistake, there is no honking and scolding. You just take it in your stride - and that's it. It is also no problem to park somewhere, even if it's not quite according to the rules. As a rule, even the official parking spaces cost nothing or very little. You appreciate that if you know German cities.

Live and let live - this pleasant (and actually self-evident) attitude has not yet been forgotten here on Crete.

So it's not surprising that many things are different in gastronomy. Free water is usually a matter of course, you often get a small free starter, followed by a little dessert and a raki. Hospitality is very important. Exceptions prove the rule.

Of course, the gastronomic offer is limited and somewhat monotonous in winter. That's why we often cook in our apartment, sometimes really German. Goulash (from the local butcher) and bread dumplings (brought from home), that's fine. And we also sometimes have Brussels sprouts. It can't always be feta cheese. 

We live our everyday lives here, get away from being tourists, but we have no illusions: We will always be guests here. Friends who have lived here for 20 or 30 years say the same thing. Even if they speak good Greek, of course.

We are still a long way off. Sure, we try to learn it, it makes life easier, the effort alone is recognized. I think that learning the language is an expression of appreciation towards your host country.

But, quite honestly, Greek is damn difficult. You know words like telegraph, acoustics, philosophy, which of course come from Greek, but they are of little use in everyday life. The grammar is not the easiest, and long words like "chrisimopoio" (use) or "savvatokyriako" (weekend) don't make it any easier. Or hurdles like the five ways to write the vowel "i". It is no wonder that English, the basic version of which is easy to learn, is the most important world language. But German is not supposed to be that easy either. 

von Michael Meinert 28. Oktober 2025
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26 Grad sind es, als wir ankommen. Die Sonne strahlt am wolkenlosen Himmel. Zuhause, in Deutschland, sind es neun Grad. Es regnet dort, verkündet uns die Wetter-App. Nach sieben Monaten sind wir endlich wieder auf Kreta, in Mirtos im Südosten, wo wir die drei letzten Winter verbracht haben. Diesmal wird es nicht so lang, dafür sind wir einen Monat früher da als sonst. Mirtos mit doch immer noch recht vielen Touristen, das mussten wir uns auch mal ansehen. Der Parkplatz am Ortseingang, wo sonst ein zwei Schrottkisten überwinterten, ist jetzt, Anfang Oktober, voller Autos. Alle Läden sind auf, alle Tavernen, Das hat Vorteile, aber wir müssen uns an die Szenerie gewöhnen. Im Winter hatten wir den Ort fast für uns. Diesmal haben wir nur ein Zimmer gemietet, etwas abseits, mit Blick aufs Meer. Eine kurze, irre steile Straße führt hinauf, aber unser kleines Mietauto schafft es ohne Murren. Unser eigenes Auto haben wir diesmal zuhause gelassen. Trauben und ein bisschen Griechisch Die Mutter des Vermieters begrüßt uns mit süßen Trauben und würzigen Keksen. Wie gut, dass ein bisschen was an Griechisch bei uns hängen geblieben ist. Kaum sind wir da, kommt eine Nachricht von Freunden aufs Handy. „Seid ihr schon da? Wir kamen gestern.“ Verbunden mit einer Einladung zu einer Geburtstagsfeier. Wir gehen runter ins Dorf. Immer wieder treffen wir Leute, die wir aus unseren Wintern kennen. Es ist ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Viele Urlauber schlendern durch die engen Gassen und über die Promenade am Meer, Freizeitlook. Manche, besonders ältere Herren, zeigen dabei viel nackte Haut. Sie wären besser beraten, dies nicht zu tun. Am Strand sind jede Menge Liegestühle hingestellt und Schirme aufgepflanzt worden. Kein Vergleich mit den Ferienhochburgen, wo wirklich Massentourismus herrscht, aber für uns natürlich ungewohnt. Auf dem Meer tummeln sich sogar zwei drei Kitesurfer, auch ungewohnt, aber beeindruckend. Badewetter, das Meer ist noch warm. Im Februar oder März sieht das anders aus. Da konnte ich abends in der Taverne damit angeben, im Wasser gewesen zu sein. Mirtos im Wandel Jetzt, im Oktober, ist fast noch Saison. Die Preise für Apartments und Studios sind hoch, im Winter sieht das anders aus. Und es werden immer mehr Wohnungen zu Touristenunterkünften umgebaut. Die ursprünglichen Bewohner, Einheimische wie Ausländer, die schon lange hier leben, müssen sich eine andere Bleibe suchen. Keine gute Entwicklung, sagen sogar Leute, die ihr Geld mit dem Tourismus verdienen. Der Charakter, das Flair des Ortes verändert sich. Die Harmonie von authentischem Dorf und sanftem Tourismus schwindet, so die Befürchtung. Eine Bekannte aus Holland, eigentlich „Urgestein“ in Mirtos, ist in ein nicht weit entferntes Dörfchen in den Bergen gezogen, „Ich wohne jetzt in einem größeren Haus, es ist massiver gebaut, und es ist natürlich billiger.“ An unserem ersten Abend feiern wir Wiedersehen mit Freunden, die seit fünf Jahren in Mirtos wohnen. Ende des Monats verlassen sie Kreta, gehen zurück in die Schweiz. Es hat sich halt doch so einiges verändert, sagen sie. Irgendwann kommen sie wieder, denke ich. Ich sitze auf dem Balkon und schaue hinunter aufs Meer. Die ersten 100 Meter leuchtet es türkis, danach zeigt es sich in einem dunklen Blau. Weiße Schaumkrönchen verzieren die Wellen. Wie schön, wieder hier zu sein.
von Michael Meinert 28. Dezember 2024
Am Rande des Dörfchens Kritsa, oberhalb der Stadt Agios Nikolaos im Osten Kretas, liegt eine Schlucht. Die ist nicht ganz unschuldig daran, dass wir seit Jahren immer wieder nach Kreta kommen. Denn die kretischen Schluchten, zahlreich, mannigfaltig, abwechslungsreich, sind ein Paradies für alle, die gerne wandern, die grandiose Szenerien schätzen. Und die Kritsa-Schlucht war unsere erste, vor vielen Jahren, und sie hat uns auf den Geschmack gebracht. Jetzt ziehen wir unsere Stiefel an und machen uns erneut auf den Weg. Und erneut ist diese nicht allzu lange aber teils anspruchsvolle Tour ein besonderes Erlebnis. Durchs Bachbett mit seinen runden Steinen, über Felsbarrieren, die durch ins Gestein getriebene Metallbügel oder ein Seil etwas leichter zu bewältigen sind. Entlang himmelhoch aufragender, rötlich schimmernder Felswände, durch enge Stellen, an denen die Felsen im Laufe der Jahrtausende glattgespült sind. Vorbei an Gestein, das wie uraltes verwittertes Holz aussieht, an toten Baumstämmen im jetzt trockenen Bachbett, die die Wassermassen bei starkem Regen nach unten schwemmen. Oleander, der sich in den im Sommer glühend heißen Schluchten besonders wohlfühlt, Pflänzchen, die sich an schattigen Stellen in noch so kleine Felsritzen klammern. Und vielleicht auch ein Adler oder Geier hoch über unseren Köpfen. Die Kritsa-Schlucht, die als eine der schönsten auf Kreta gilt, hat nichts von ihrer Faszination verloren. In Kritsa lohnt auch der Besuch der über 600 Jahre alten Kirche Panagia Kera mit ihren sehenswerten byzantinischen Fresken. Und in der Nähe liegen die Ruinen der dorischen Stadt Lato, die schätzungsweise vor 2500 Jahren erbaut wurde.
von Michael Meinert 6. Dezember 2024
Griechisch, heißt es, ist eine der schwersten Sprachen der Welt. Mag schon sein, aber was bleibt einem übrig, wenn man öfter auf Kreta ist (den dritten Winter übrigens) und nicht mehr den Touristen geben will, der gerade mal „Evcharisto“ und „Kali nichta“ zustande bringt. Also frisch ans Werk, und immer schön die Ohren spitzen, wie die Einheimischen so reden. Doch – aller Anfang ist schwer. Es fängt schon mal damit an, dass Ja „nä“ heißt. „Thelo ena potiri aspro krasi“ sage ich fröhlich in der Dorfkneipe, und die Wirtin entgegnet einsilbig „Nä“. Was habe ich getan, warum will sie mir kein Glas Weißwein geben, schoss es mir anfangs immer erstmal kurz durch den Kopf. Und wenn ich selbst Nein sagen wollte, lag mir schon das „Nä“ auf der Zunge – und nicht das „Ochi“. Die Griechen lieben die langen Wörter – auch schon in der einfachen Alltagssprache. Ganz anders die Engländer, und so ist Englisch auch eine internationale Verkehrssprache. „Use“ zum Beispiel hat man doch viel schneller intus als etwa das griechische Pendant „chrisimopió“. Wortungetüme wie „katapliktikó“ (toll), perissótero (mehr) oder „skampanevásmata“ (Höhen und Tiefen) sind schon in der Lage, den Lernanfängern Respekt einzuflößen. Hinzu kommt die andere Schrift, aber die ist im Vergleich zur Lexik und Grammatik der griechischen Sprache ein eher kleines Hindernis, das man relativ schnell überwindet. Ins Grübeln gerät man aber bei Details wie der Sache mit den fünf „I“. Da gibt es das Ita (Η bzw. η), das Jota (Ι bzw. ι), das Ypsilon (Υ bzw. υ) – und alle klingen sie gleich. Ebenso die zwei weiteren Möglichkeiten, die Kombinationen “ei“ (ει) und „oi“ (οι), die auch nur I-Laute bezeichnen. Wir nannten die drei ersten anfangs das “Buckel-I“, das „normale I“ und das „U-I“. Nur gut, dass man beim Reden nicht überlegen muss, welches „I“ nun an der Reihe ist. Wichtig, ganz wichtig ist die richtige Betonung. „Póte“- betont auf dem O, heißt zum Beispiel „wann“, „poté“, betont auf dem E, hingegen bedeutet „nie“. Glücklicherweise gehören die Betonungszeichen zur Schriftsprache. Generell scheint zu gelten: Ein Wort wird so betont, wie wir als Deutschsprachige es nicht betonen würden. Wie lernt man nun am besten Griechisch? „Auf der Straße“ versichert ein Freund, der vor vielen Jahren nach Kreta ausgewandert ist. „Mit Grammatikpauken“ glaubt ein anderer, der wohl gerne Altphilologe geworden wäre. Mit klassischem Lehrbuch, mit Online-Sprachkursen, mit einfachen Kinderbüchern? Wie auch immer: am besten wohl im Gespräch mit Griechen. Und wenn es am Anfang auch als Sisyphos-Arbeit erscheint, so will ich doch gerne einer Bekannten glauben, die es schon lange geschafft hat: „Irgendwann macht es Klick, und alles ist viel einfacher.“
von Michael Meinert 26. April 2024
Bevor es nach einem ganzen Winter auf Kreta zurück nach Deutschland geht, machen wir noch Station in Kissamos. Ein Städtchen ganz im Nordwesten der Insel, das neben seiner quirligen und anstrengenden Durchgangsstraße auch ein paar schöne Ecken hat. Wir mieten uns in einer Pension ein und kaufen uns in einer Reiseagentur schon mal die Schiffstickets. Am folgenden Sonntagmorgen soll die Fähre von Kissamos nach Gythio auf der Peloponnes gehen, am frühen Abend dort ankommen. Am Montagabend legt dann das Schiff von Patras nach Venedig ab. So haben wir den ganzen Montag Zeit, die 300 Kilometer auf der Peloponnes zu fahren – und wir müssen nicht in den Trubel von Piräus. So unser Plan. Aber es ist ja erst Donnerstag, noch drei Tage Zeit für Kreta. Wir besuchen endlich mal den Botanischen Garten, der 15 Kilometer südwestlich von Chania in der Nähe des Dörfchens Fournes liegt. Der in einem hügeligen Gebiet angelegte Garten ist absolut sehenswert mit seiner Fülle an mediterranen und tropischen Pflanzen, den liebevoll arrangierten Kunstwerken am Wegesrand, den Pfauen und anderen Tieren in einem kleinen Zoo. Im Frühsommer wird es dort natürlich noch viel mehr blühen als jetzt im April, aber dafür sind nun viel weniger Leute unterwegs. Und wenn wir schon mal in der Gegend sind, dachten wir uns, fahren wir noch ein paar Kilometer weiter zur Omalos-Hochebene und zum Eingang der Samaria-Schlucht. Die Straße windet sich hoch hinauf in die Berge, kaum ein Auto ist unterwegs, oft müssen wir warten, bis die vielen Schafe langsam von der Fahrbahn trotten. Es ist leer und einsam, denn die imposante Schlucht ist noch geschlossen, der Eingang mit Zäunen und Stacheldraht verrammelt. Hier, auf 1200 Metern Höhe, wo sich im Sommer täglich hunderte von Schluchtenwanderern drängen, sind wir nun fast alleine - inmitten der grandiosen Bergwelt der Lefka Ori, der Weißen Berge. Die Samaria-Schlucht ist – wenn das Wetter mitspielt – vom 1. Mai bis zum 15. Oktober geöffnet. Auf mehr als 16 Kilometern zieht sie sich zwischen teilweise 600 Metern hohen Felswänden runter nach Agia Roumeli an der Südküste. Wir haben bisher nur die abgespeckte Variante gemacht: Frühmorgens von Agia Roumeli nordwärts bis zur Mitte der Schlucht, dann wieder zurück, bevor die wandernden Massen uns überschwemmen konnten. Bei dieser Version hat man Samaria für sich allein. Doch irgendwann steht auch die klassische Nord-Süd-Tour auf unserem Programm. Die zwei letzten Nächte auf Kreta verbringen wir in Kavousi bei Falasarna. Falasarna, in der Antike eine wichtige Hafenstadt, ist heute ein Badeort mit langem, phantastischem Strand. Und an eben diesem Strand meldet sich am Samstagnachmittag mein Handy. Eine SMS ist eingetroffen. Eine SMS der Fährgesellschaft, dass unser Schiff am Sonntagmorgen nicht fahren wird. Wartungsarbeiten. Wir sind ziemlich schockiert, haben wir doch nicht nur ein Hotel in Gythio gebucht, sondern auch schon das Anschlussticket nach Venedig gekauft. Was tun? Zum Glück ist die Agentur in Kissamos, wo wir die Tickets gekauft haben, am Samstagabend geöffnet. Und wir können umbuchen auf eine Fähre, die am Sonntagabend von Chania aus nach Piräus fährt. Kostet zwar etwas mehr, aber so können wir die Anschlussfähre erreichen. Am Sonntag fahren wir nach Chania, besuchen noch die antike Stadt Aptera in der Nähe, sind am Abend auf der Fähre. Gegen 21 Uhr geht es los. Erst wird der Hafen immer kleiner, dann die Souda-Bucht, dann ganz Kreta. Kein besonders schönes Gefühl, egal, ob nach zwei Wochen oder fünf Monaten. Aber wir trösten uns mit dem Gedanken: Nach Kreta ist vor Kreta.
von Michael Meinert 18. April 2024
Was für ein komisches Gefühl, nach fünf Monaten ein letztes Mal aus Mirtos herauszufahren. Das gewundene Sträßchen hoch nach Mournies, weiter nach Ano Vianos. Alles so vertraut, man kennt fast jede Kurve, jeden Blick auf die felsigen Hänge. Wir haben noch etwas Zeit, wollen uns noch ein bisschen im Westen von Kreta herumtreiben, dann die Fähre von Kissamos zur Peloponnes nehmen. Den ganzen Tag sind wir unterwegs, vorbei an Festos und Agia Galini, hoch nach Rethimnon, auf der Schnellstraße nach Chania, nach Kissamos, dann die Westküste runter. Wir haben eine Unterkunft in einem winzigen Örtchen namens Amigdokefali gebucht, in einem abgelegenen Häuschen, ein paar Kilometer vor Elafonisi. Areti Sea View Mountain Cottage heißt es, die Aussicht runter auf die Küste ist grandios und die Gastgeber, ein älteres Ehepaar, sind sehr nett und gastfreundlich. Sie laden uns zum Abendessen ein. Allerdings: Sie sprechen nur Griechisch, wirklich ausschließlich. Wir haben zwar in den vergangenen Monaten so einiges gelernt, aber wenn Kreter einen mit langen Sätzen in rasantem Tempo konfrontieren, hat man wenig Chancen. War trotzdem sehr nett. Beim nächsten Mal wird unser Griechisch besser sein. Am nächsten Tag ein Ausflug an den Lagunenstrand von Elafonisi, der als einer der schönsten Strände der Welt gilt. In der Saison drängen sich dort tausende von Besuchern, aber an diesem frühen Aprilmorgen haben wir den Traumstrand mit dem rosa Sand fast für uns allein. Und: Es ist windstill, das Wasser ganz glatt, es ist wunderschön. Ein Stück weiter Richtung Paleochora liegt ein anderer schöner Strand, Kedrodasos, was auf Deutsch Zedernwald bedeutet. Zwei Kilometer auf dem Fernwanderweg E 4 sind es bis dahin, aber es sind heftige zwei Kilometer, mit viel Kletterei über Felsen. Der E 4, ich stelle es jedes Mal fest, ist kein Spazierweg durch einen Kurpark. Kedrodasos ist ein Dünenstrand mit Zedern und ganz viel Wacholder, sehr schön anzusehen, zum Baden aber wegen der Felsplatten im Wasser nicht so ideal wie seine berühmte Schwester Elafonisi. Den Abend verbringen wir in einer Institution, ganz in der Nähe unserer Unterkunft: "Petroula’s Bar". Eine Holzkonstruktion mit einer phantastischen Aussicht und einem hochgelobten Orangensaft, bekannt bei vielen Kretareisenden. Petroula ist ein Esel der dort ab und zu herumstrolcht, ansonsten tummeln sich zahlreiche Hunde in und um die Hütte. Manolis, der Wirt, gibt zu, dass er einen Hundespleen hat, besonders jetzt, wo die Schar durch acht Welpen verstärkt wird. Wir sind mit Manolis allein an diesem Abend, trinken Wein und Raki und bekommen dazu Geschichten über Kreta im Allgemeinen und die Westküste im Besonderen serviert. Am nächsten Tag brechen wir auf zu den letzten beiden Stationen unserer Kretareise: Kissamos und Falasarna. Und werfen noch einen Blick in die Samaria-Schlucht. Mehr darüber in der nächsten Folge.
von Michael Meinert 24. März 2024
Sie ist anders als die andern - geheimnisvoll, vielversprechend, von üppiger Schönheit, mit vielen Facetten, hell und strahlend hier, dunkel und unergründlich dort: die Richtis-Schlucht, im Nordosten Kretas zwischen Kovousi und Sitia gelegen. Vom Örtchen Exo Mouliana aus schlängelt sie sich auf einer Länge von etwas über fünf Kilometern hinunter bis ans Meer. Fünf Kilometer aber, die es in sich haben. Startpunkt ist ein Parkplatz ein paar hundert Meter östlich von Exo Moulina an der Hauptstraße. Die Richtis-Schlucht ist bekannt für ihre üppige Vegetation: Bäume aller Art, die auf der Suche nach Licht ihre Äste in teils grotesken Windungen nach oben strecken, Oleander von ungewohnter Höhe, Pflanzen, die man als Zimmerpflanzen kennt, in riesigen Dimensionen, vereinzelte Palmen mitten in einem Laubwald, am Ende Oregano in Hülle und Fülle. Über Stock und Stein Der Weg windet sich an einem Bach entlang, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Teils gibt es Holzbohlen, teils nur ein paar Trittsteine, über die man balancieren muss. In der Saison kostet die Schlucht Eintritt (derzeit drei Euro), aber die Einnahmen werden gut angelegt: Der Pfad ist sehr gut markiert, an schwierigen Stellen gibt es richtige Holzbrücken und Treppen. Besonders interessant ist die Treppenkonstruktion, die in der Mitte der Schlucht zu einem kleinen Rastplatz an einem sehr beeindruckenden Wasserfall hinabführt. Lara lässt grüßen Die Schlucht erinnert stellenweise an eine Klamm in Deutschland oder Österreich, wenig später aber an einen tropischen Dschungel, eine Tomb-Raider-Szenerie. Wobei Lara Croft die Felsbrocken, über die der Weg mitunter führt, sicherlich viel eleganter überwunden hätte als unsereins. Unterwegs sind noch die Reste einiger früherer Mühlen und alter Gebäude zu finden. Der Bach sammelt sich manchmal in kleinen Tümpeln, überdacht von dichtem Blattwerk. Die mystische, geheimnisvolle Atmosphäre dieser Märchenwelt zieht die Besucher in ihren Bann. Und gerade im Sommer ist die schattige und wasserreiche Richtis-Schlucht eine sehenswerte Alternative zu den sonnendurchglühten Felsschluchten, für die Kreta so berühmt ist.
von Michael Meinert 18. März 2024
Einsame Strände, bizarre Felswände - Kretas Südküste ist ein Geheimtipp
von Michael Meinert 6. März 2024
Organisierte Bustouren – eigentlich nicht so unser Ding. Tauscht man doch Selbstständigkeit gegen Bequemlichkeit ein. Oder, wie unser Freund Martin sagte: Man ist da so eingesperrt. Andererseits: Man kann unterwegs aus dem Fenster gucken und die Landschaft genießen, man kann zum Essen oder später ohne schlechtes Gewissen ein Gläschen trinken. Und man kann auf der Rückfahrt dösen. Theoretisch jedenfalls. Vor allem: Man muss sich nirgendwo um einen Parkplatz kümmern. Wenn das Reiseziel dann noch Heraklion ist und am Ziel zunächst Haie und später gar Dinosaurier warten, man sogar gefahrlos ein Erdbeben erleben kann, dann sollte man nicht zögern. Also finden wir uns morgens um 8 in Mirtos an der Bushaltestelle ein. Die Leute, die hier im Ort die öffentliche Bibliothek betreiben, haben die Tour organisiert. Auf dem Programm: Besuche im größten Aquarium Griechenlands und im Naturhistorischen Museum. Ein spannendes Programm. An die 40 Leute, fast ausschließlich Einheimische, fahren mit. Die Kreter sind gesellige Leute, und so ist die Stimmung im Bus bestens. Bald schaltet der Fahrer das Radio ein, und die Stimmung wird noch besser. 1,8 Millionen Liter Wasser Im „CretAquarium“, das 15 Kilometer vor Heraklion in Gournes liegt, ist es hingegen still. In mehr als 60 Wasserbecken mit insgesamt 1,8 Millionen Litern Salzwasser tummeln sich über 2000 Meeresbewohner aller Art. Eindrucksvolle Begegnungen mit Haien und Muränen, mit Stachelrochen und mit den schönen aber giftigen Feuerfischen, die durch den Suezkanal ins Mittelmeer eindringen. Rendezvous mit Korallen, Seesternen, Quallen und Seepferdchen, mit Fischen aller Größen, Formen, Mustern und Farben, mit allem, was sich im Mittelmeer so tummelt. Und jede Menge Infos, etwa zur Verschmutzung des Meeres. Dass eine Plastikflasche oder eine Wegwerfwindel nach 450 Jahren teilweise immer noch da sind, ist nicht gerade erfreulich. Schnell unter den Tisch Eine der Attraktionen im Naturhistorischen Museum von Kreta, unserer zweiten Station, ist das Erdbebenzimmer. Ein Klassenraum mit Stühlen und Tischen. Wir nehmen Platz, wer Rückenprobleme hat muss draußen bleiben, und dann erleben wir, was bei einem Erdbeben los ist. Erst ein leichtes Beben, dann immer stärker. Die Lampe an der Decke wackelt, die Landkarte an der Wand schwingt hin und her, und uns schüttelt es fast von den Stühlen. Tipps gibt es auch: Weg von Glasscheiben und Balkonen zum Beispiel, am besten unter einen Tisch legen und sich an ihm festhalten. Ehrlich: In der Realität möchte ich so etwas nicht erleben. Danach ist es richtig entspannend, durch das weitläufige Museum zu schlendern, sich Kretas Tiere (in ausgestopfter Form) und Lebensräume anzusehen, über physikalische Phänomene oder optische Täuschungen zu staunen. Ach ja, die Dinosaurier. Von denen sind etliche in Lebensgröße zu bewundern, und manche bewegen sich sogar. Beeindruckend. Man kann froh sein, dass sie keine Zeitgenossen sind und uns zertrampeln oder mit einem Happs verzehren könnten. Nach einem Bummel durch Heraklion und einem Besuch in der Taverne, die dort schon unsere Stammkneipe ist, geht es mit dem Bus zurück nach Mirtos. Die Stimmung an Bord ist gelöst und steigt mit jedem Kilometer. Wir wissen ja: Die Kreter sind gesellige Leute.